Sprengel FOTO BLOG
4 Fragen an Sabrina Jung
von Stefan Gronert
Spätestens seit Beginn des 21. Jahrhunderts haben alle Beteiligten der Foto-Szene gemerkt, dass die Digitalisierung unser klassisches Verständnis von Fotografie verändert hat. Jetzt wird soeben noch zusätzlich das Thema KI heiß diskutiert. Wie ist Deine Haltung als Künstlerin dazu?
Ich denke jeder Fotograf*in steht es frei, unterschiedlichste Apparate analoger oder digitaler Art, KI-gestützte Programme oder noch ganz Anderes für künstlerische Prozesse zu nutzen. Ich habe nie verstanden, warum um 2005 über die Art, ob analog oder digital erstellte Fotos beides Fotografie seien, unendlich lang diskutiert werden musste… Wahrscheinlich hatte ich mich damals inhaltlich schon so weit von der „klassischen“ Auffassung der Fotografie entfernt, da es mir einfach nur ums Bilder machen ging. KI als Instrument zu sehen, das man benutzen kann: wenn man möchte oder es angebracht erscheint, sehe ich als eine technische Ergänzung für die Arbeit mit Fotografie. Entscheidend finde ich, dass das erstellte fotografisch-wirkende Bild innerhalb der Fotografie/Kunst einen Sinn erzeugt, dass es auf seine Weise interessant ist.
Wenn ich es vereinfacht ausdrücken sollte, würde ich sagen, dass die Themenblöcke Erinnerung und Vergänglichkeit sowie Weiblichkeit und Gender zentrale Fragestellungen Deines Schaffens sind. Das klingt ein wenig nach „mainstream“, weil diese Themen momentan ohnehin sehr aktuell sind. Würdest Du mir in meiner Beschreibung recht geben und wie verortest Du Dich selbst im zeitgenössischen Diskurs?
Ja, seit 2007 beschäftige ich mich mit dem fotografischen Porträt und nutze für meine künstlerische Auseinandersetzung gefundenes, antiquarisches Material, vornehmlich klassische Schwarzweiß-Porträtfotografien aus unterschiedlichen Fotostudios. Schon in meiner ersten Serie „Masken“ (2007) habe ich die Technik der Collage auf der originalen Fotografie verwendet, um den Bruch zwischen individueller Identität und der Inszenierung im Fotostudio sichtbar zu machen. In der Vergangenheit war es, ähnlich wie bei social media heute, ebenso wichtig, ein „optimiertes“ Bild und damit ein Image von sich selbst zu erzeugen. Toll sind die Carte-de-Visite, eine Erfindung um 1851, anstelle seines Namens sein Porträt auf einer Visitenkarte aufzubringen; dies ist leider nicht mehr Mode. An alten Porträtfotografien lassen sich zudem weitere Aspekte einer Gesellschaftskultur ablesen, wie deren Mode- und Schönheitsideale. Oder anhand ihrer Pose die der Person zugeschriebene soziale Rolle.
Seit den „Masken“ sind weitere Serien entstanden, die sich ausgehend von alten Fotografien mit Identität beschäftigen. Die Fotografien werden gescannt und in ein identisches Schwarz-Weiß Profil konvertiert, die fertigen Daten als Inkjet-Druck ausgegeben. Während des Arbeitsprozesses nutze ich digitale Techniken, als auch manuelle Arbeitsschritte und kombiniere diese oft miteinander.
Mehrere Serien gehen der Geschlechtsidentität nach: Die „WoMen“ (2018) sind auf dem Bild mit Eiweißlasurfarben von Hand koloriert, um die abgebildeten Personen zu schminken und ihre individuelle Physiognomie zu verstärken. Für die „Queers“ (2021) habe ich je ein männliches und ein weibliches Gesicht partiell bearbeitet und diese digital überlagert, um sie anschließend als „Maske“ auf den Bildträger aufzukleben. Dadurch entsteht ein fiktives Gesicht, das beide Geschlechter in sich zeigt. Da die abgebildeten Personen Unbekannte sind, deren ehemalige Existenz vielleicht nur noch dieses eine Foto bezeugt, sind sie für mich ideale Projektionsflächen, in denen oft auch weitere interessante Themen zu entdecken sind. Durch die Auseinandersetzung inspiriert fließen sie in den Kontext meines künstlerischen Arbeitsprozesses ein. In welcher Zeit lebe ich und in welcher Art von Gesellschaft würde ich gerne leben? In gewisser Weise sind die alten Fotografien für mich auch ein Spiegel, in den ich schaue, und der aus der Vergangenheit zu mir in der Gegenwart „spricht“.
Der Aspekt der Maske, der Maskerade, taucht immer wieder auf, sowie das Spiel und auch der Bruch mit vorgegebenen Identitäten. Oft sind Frauen auf meinen Bildern abgebildet, manchmal Männer oder Kinder. In meiner aktuellen Arbeit „Good Mothers“ (2024) arbeite ich mit Fotografien von Mädchen, die mit ihren Puppen posen. Dieses Material stammt aus den 1940er – 1950er Jahren. Künstlerische Positionen, die sich mit der Vielschichtigkeit der „Mutterschaft“ auseinander setzen, sind aktuell präsent. Ich beschäftige mich mit einem Augenzwinkern mit der sozialen Rolle der „guten Mutter“, die weiblichen Personen bereits im Kindesalter angetragen wird. Interessant finde ich die Kombination aus Mädchen Porträts, die ihre Puppen liebevoll umarmen und Mädchen, die ihre Puppe eher „beiläufig“ halten, als auch das Objekt der Puppe selbst.
In meinen Serien „Puppet Clones“ (2024) und „Cyborgs“ (2022/23) geht es um eine technische Künstlichkeit. Während der Arbeit an den „Puppet Clones“ musste ich an Reborn-Puppen denken, lebensechte Babypuppen, die ebenso wie Babys versorgt werden. Die abgebildeten circa einjährigen Kinder wirkten auf mich puppenähnlich, sodass ich deren Kleidchen montiert habe, wie bei Anziehpüppchen aus Papier. Zudem wurde eine Maske collagiert, die besonders die Augenpartie vergrößert. Die in unterschiedlichen Studios fotografierten Porträts scheinen einer bestimmten festgelegten Art der Inszenierung zu folgen. Der Titel „Cyborgs“, Mensch-Maschinen, bezieht sich auf den künstlichen Erstellungsprozess der fiktiven Porträts durch den Einsatz verschiedener technischer Apparate.
Zu dem anderen von Dir genannten Schwerpunkt: Erinnerung und Vergänglichkeit. Schon als Teenagerin habe ich mich für „das Sterben“ interessiert. Ein Thema, das in unserer Kultur zu wenig besprochen wird. Während des Studiums fotografierte ich Gräber in einem kleinen Dorf in Rumänien – jeder Grabstein besaß neben dem Namen und den Daten der Verstorbenen auch ein Foto. Es gibt viele großartige Künstler*innen, die das Sterben in ihren Arbeiten thematisieren u.a. Sophie Calle und Christian Boltanski, deren Arbeiten sich mit der eigenen Endlichkeit oder dem Sterben der „Anderen“ beschäftigen.
In meinen Bildern „Touched – Post Mortem“ (2014/15), die auch in der von dir kuratierten Ausstellung „Gezielte Setzungen – Übermalte Fotografie in der zeitgenössischen Kunst“ 2019 im Sprengel Museum zu sehen waren, arbeitete ich mit meinem Handabdruck auf der vergrößerten Fotografie. Ich sehe es als einen konzeptuell-performativen Ansatz. Die Berührung des „Abbildes“ des Verstorbenen als eine Geste des letzten Abschieds. Die verwendeten Post-mortem-Fotografien stammen aus dem frühen 19. und 20. Jahrhundert, als diese Art der Fotografie als Erinnerungshilfe genutzt wurde. Auf den Fotografien sind über die Jahre viele Kratzer und Spuren der Benutzung durch die Hände der Hinterbliebenen entstanden. Dieser formale Aspekt war eine Inspirationsquelle mit der „Berührung“ zu arbeiten.
Für die „Photographers masks of death“ (2018) überführte ich Porträtfotografien in eine skulpturale, dreidimensionale Form. Das Gesicht sollte wieder plastisch erscheinen. Mich interessierte hierbei der transformatorische Prozess des technischen Apparates, der zuvor die dreidimensionale Situation in eine zweidimensionale übersetzt hatte. Es ist somit ein Rückführungsversuch, bei dem durch das Aufziehen auf eine Gipsmaske im Papier Knicke entstanden sind, diese erinnern an Falten im Gesicht. Anders als bei den von Verstorbenen abgenommenen Totenmasken erscheint der Gesichtsausdruck allerdings nicht friedlich schlafend – vielleicht ein Sinnbild für das Altern und die Angst, die viele Menschen vor dem Sterben haben.
Die Materialität des Bildes scheint mir bei Dir eine große Rolle zu spielen. Siehst Du darin selbst eine künstlerische Reaktion auf die zunehmende Verlagerung der Fotografie in den virtuellen Raum des Alltags (Stichwort: social media)?
Die Materialität des Bildes ist mir sehr wichtig: Es ist spannend durch die Technik oder das Material eine Haptik zu erzeugen. Durch die Collage entsteht sofort eine zweite Ebene im Bild. Auch meine Handabdrücke oder Übermalungen sind direkt auf dem Bildträger an einer bestimmten Stelle im Motiv gesetzt. Die stärkere Setzung ist intendiert, es entsteht ein Unikat, das anders rezipiert wird.
Social Media funktioniert für mich gut als eine Form von Appetizer, man kann ja nicht überall vor Ort sein. Für mich ist das Konsumieren ein bisschen wie „Zeitung lesen“; ich erhalte einen Überblick, kann mich vernetzen und auch selbst Anderen im Kleinstformat kleine Köstlichkeiten servieren. Allerdings sind Bilder besser im Original zu sehen!
Was man ja eigentlich eine Künstlerin gar nicht fragen darf, aber hast Du in den letzten Monaten vielleicht eine künstlerische Entdeckung gemacht, die Dich begeistert, die neu für Dich war?
Das Schöne ist, dass jede*r eigentlich immer irgendwo künstlerische Entdeckungen machen kann. Besonders begeistert hat mich in diesem Sommer in der Église Saint-Pierre-et-Saint-Paul de Plouguerneau, Frankreich, die Darstellung des Totentuchs von Jesus Christus. Es handelt sich um eine Ausarbeitung eines farbigen, deutlich plastischen Gesichts mit langen Haaren, das aus dem hölzernen Stoff heraus tritt. Eine so offensichtliche Darstellung als Porträt fand ich erstaunlich und amüsant zugleich.
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